Neulich war ich mal wieder auf Foto Tour, trotz leichtem Regenwetter. Meine Motivation hielt sich daher in Grenzen. Aber als ich an meinem Ziel ankam, war ich sofort berührt und das nicht gerade fotofreundliche Wetter war vergessen. Ein paar Tage zuvor spielte mir das große Ganze ein Buch mit Haiku-Gedichten in die Hand. Das Ergebnis? Toyo Shibata ist die Verfasserin der Haiku-Gedichte, die du weiter unten neben meinen Fotos aus dem Chinesischen Garten im Frankfurter Bethmann Park vorfindest. Okay passt nicht ganz, denn Shibata war Japanerin, aber ich bin da jetzt mal tolerant 😉
Shibata wurde schlussendlich stolze 101 Jahre alt und hat das Verfassen von Haikus erst mit über 90 Jahren begonnen!
Ihre Eltern waren recht wohlhabend, ihr Vater war Reishändler. Trotzdem hat sie als einzige Tochter ihrer Eltern schon früh arbeiten müssen, unter anderem in dem Restaurant, in dem sie ihren Mann Eikichi kennenlernte. Es muss wohl recht heftig gefunkt haben zwischen den zwei Hübschen, obwohl Eikichi beträchtlich älter war als Toyo. Sie heirateten jedenfalls recht bald und ein Jahr später kam ihr einziger Sohn Ken’ichi zur Welt.
Mit 70 Jahren begann Shibata mit klassischem Japanischen Tanz. Sie entwickelte hierbei eine solche Leidenschaft und Perfektion, dass sie diesen sogar selber unterrichtete. 1992, sie war mittlerweile 82 Jahre alt, starb ihr Mann Eikichi. Außerdem erlitt sie eine Hüftverletzung und konnte ihr leidenschaftliches Hobby – den klassischen Japanischen Tanz – nicht mehr ausüben.
Sie war so niedergeschlagen, dass sich ihr Sohn Ken’ichi große Sorgen um sie machte. Er empfahl ihr, anstatt des Tanzens nun Gedichte zu schreiben. Das Resultat: Ab 2004 erschienen ihre Gedichte täglich in der überregionalen Tageszeitung Sankei Shimbun unter der Rubrik ‚Gedicht am Morgen‘. Shibata war mittlerweile stolze 93 Jahre alt! Sie hat dann einige von diesen und neue Haikus in mehreren Gedichtbändchen herausgegeben. Im Frühjahr 2013 verstarb sie im Alter von 101 Jahren in einem Pflegeheim in Utsunomiya in Japan.
Aus ihrem Band ‚Du bist nie zu alt, um glücklich zu sein – Lebensweisheiten einer Hundertjährigen‘ habe ich ein paar mich besonders ansprechende Haikus mit meinen Fotografien aus dem Chinesischen Garten in Frankfurt vereint und wünsche dir nun viel Freude damit:
Die Brücke des kommenden Glücks
Immerzu schalt man mich
auf meiner Arbeit
weinend saß ich am Fuß der Kõrai-Brücke
ach mach dir nichts draus sagte Fu-chan
gib nicht auf
sie lachte mich an
das Murmeln des Uzumagawa
blauer Himmel weiße Wolken
Kommendes Glück
hieß die Brücke
an der sie mich so lieb getröstet hat
das war vor 80 Jahren
Die Grille
In tiefer Nacht schlüpfe ich unter den Kotatsu
um ein Gedicht zu schreiben
doch nach der ersten Zeile
füllen meine Augen sich mit Tränen
irgendwo
zirpt eine Grille
wer weint den besuche ich nicht
ruft sie
Grille kleiner Sänger
komm morgen wieder
morgen erwarte ich dich mit lachendem Gesicht
Morgen ist ein neuer Tag
Als ich beschloss
allein zu leben
wurde ich eine starke Frau
habe auch gelernt
dass es Mut braucht
helfend ausgestreckte Hände
dankbar zu ergreifen
auch für euch Seufzende
Ich bin so unglücklich!
klagt ihr doch auch für euch
kommt ein neuer Tag
und auch die Sonne
wird wieder scheinen
An Dich I
Sich grämen
über Unerreichtes
ist sinnlos
selbst in 96 Jahren habe ich
viele Berge nicht bestiegen
zu wenig um die Eltern mich gekümmert
zu wenig meinem Sohne beigebracht
zu wenig gelernt
aber du hast dich bemüht
mit aller Kraft
ist das nicht die Hauptsache?
Komm erhebe dich
und packe etwas an
nur so stillst du
die Reue im Herzen
Wind und Sonne
Auf der Veranda
sitze ich
und schließe die Augen
Wie geht’s
fragen mich Wind und Sonne
Wie wär’s
mit einem Gang durch den Garten
flüstern sie mir zu
Na dann los
antworte ich
in meinem Herzen
und ächzend
raffe ich mich auf
Meine Antwort
Bisweilen flüstert der Wind
mir ins Ohr:
Komm
lockt er mich
es wird Zeit
in die andere Welt zu gehen.
Meine Antwort
kommt schnell:
Ach ich bleibe
noch ein Weilchen
hab gar so viel zu tun.
Der Wind
zieht ein verlegenes Gesicht
und weht – schsch – davon
Wenn ich einsam bin
Wenn ich einsam bin
fange ich Sonnenstrahlen ein
die durch den Türspalt fallen
mit meiner Hand
und reibe sie mir
immer wieder ins Gesicht
ihre Wärme ist die
Wärme meiner Mutter
Mama flüstere ich
wir halten durch
und rapple mich hoch
Der Wind, die Sonne und ich
Da der Wind
an der Glastür rüttelt
lasse ich ihn ein
dann kommt die Sonne
zu dritt halten wir
ein Plauderstündchen
Großmutter
fühlst du dich nicht einsam
so allein?
fragen Wind und Sonne
Letztendlich
sind wir Menschen
doch immer allein sage ich
Wenigsten hat man seine Ruhe, was?
Wir lachen
an diesem frühen Nachmittag
An mich selbst
Tränen
gleichen dem tropfenden Wasserhahn
versiegen nicht von allein
ganz gleich wie schwer
und traurig etwas ist
weinen wird nichts nützen
drehen wir doch
mit aller Kraft
den Wasserhahn zu
werden die Tränen
sogleich versiegen
nehmen wir eine frische Tasse
für unseren Kaffee
Lass’ es dir gut gehen in der kommenden Woche!
Liebe Birgit,
sehr schön, Danke
??
Danke dir!
Ciao
Birgit
Einfach schön und besinnlich! Meine Gedanken sind angeschubst .
Danke & möge die Übung gelingen!
Ciao
Birgit
Ein wunderbarer Beitrag. Die Texte und die Fotos sind beide inspirierend, zusammen um so mehr! Danke.
Vielen lieben Dank, Jennifer! Es freut mich sehr, wenn Text & Bild dein Herz berührt haben. Ciao Birgit