…wie bitte? Ich habe zwei Ohren, auf denen ich mal mehr mal weniger gut höre ;-), aber ein DU-Ohr? War mir bis dato unbekannt. Wenn es dir ebenso geht, dann empfehle ich dir meinen nachstehenden Artikel und ich verspreche dir interessante neue Erkenntnisse!
Um es ganz rasch und simpel auf einen Punkt zu bringen: Der Mensch hat zwei Ohren!
Wow, welch‘ Erkenntnis wirst du jetzt denken. Klar, die körperlichen Fakten sind uns allen bekannt. Nur hören wir auch mit beiden Ohren? Es geht hier nicht um Schwerhörigkeit etc., sondern darum, wie wir unsere Ohren einsetzen.
Denn laut Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, gilt folgendes:
‘Man will nicht wahrnehmen / hören, was nicht zur eigenen Weltsicht passt.‘
Und hier kommt jetzt das Du-Ohr zum Einsatz. Denn mit ihm hörst du den anderen wirklich – in all‘ seinen Facetten: Seiner Fremdheit, seiner Schönheit und auch – für dich & mich mitunter schwierig – seinem Schrecken.
Klingt ja erstmal schräg und zugleich auch ein wenig simpel. Denn die Kernidee, dass der Mensch zwei Ohren hat, ist ja a) nicht neu und b) auch nicht wirklich überraschend. Doch jetzt kommt das Tolle an dieser Sache: Wenn wir das wahre Potenzial unserer zwei Ohren tatsächlich ausschöpfen, kann dies unser Leben radikal verändern.
Fakt ist: Wer wirklich zuhört, ändert das System der kommunikativen Spielregeln! Mit dem sogenannten Du-Ohr kommt die nicht egozentrische Aufmerksamkeit ins Spiel, sprich du versuchst tatsächlich in die Welt deines Gegenübers einzutauchen.
Die Idee mit den zwei Ohren beruht auf dem sogenannten Ich-Ohr und dem Du-Ohr. Soweit so gut, doch wie musst du dir das jetzt genau vorstellen. Es ist tatsächlich so, dass wir mit unserem Ich-Ohr – oft genug haben wir links und rechts am Kopf ein Ich-Ohr 😉 – hören wir genau das aus dem Gespräch heraus, was unseren persönlichen Urteilen und auch Vorurteilen entspricht. Hier ist, wie der Neurobiologe Humberto Maturana sagen würde, die Matrix unserer persönlichen Weltwahrnehmung bestimmend. Also einfacher ausgedrückt, hier geht es um den Grad der Übereinstimmung mit unseren eigenen Auffassungen. Sie fungieren regelrecht als Filter für das was wir hören (wollen).
Wie oft denkst du bei einer Unterhaltung und der darauf folgenden Reaktion deines Gesprächspartners, sag mal rede ich Chinesisch? Der / die versteht ja gar nix von dem was ich sage. Dein Gegenüber versteht schon was du sagst, aber eben nur durch seine entsprechenden egozentrischen Filter im Ich-Ohr.
Wenn du hingegen lernst, auch dein zweites Ohr, das Du-Ohr in einem Gespräch zu aktiveren, hörst du mit einer nicht egozentrischen Aufmerksamkeit zu. Ab jetzt hörst du oder versuchst es zumindest, die Welt des anderen akustisch wahrzunehmen. Wenn dir das Gesagte vielleicht fremd oder gar bedrohlich vorkommt, frage dich: In welcher Welt ist das, was der andere sagt, plausibel, sinnvoll, wahr? Lehne es nicht sofort ab, hinterfrage dich und deine ‚Voreinstellung‘…
Denn mit dem Du-Ohr hörst du was der andere wirklich sagt, egal ob es für dich schön ist oder fremd oder gar schrecklich.
Was hast du vom Einsatz des Du-Ohrs?
Durch den aktiven Einsatz deines Du-Ohrs wird dein Zuhören zu einem Auftakt echter Begegnungen! Du nimmst dein Gegenüber auch mit seinen Facetten war, nicht nur durch deinen Ich-Ohr-Filter.
Fakt ist leider auch, dass bis dato weitestgehend das glatte Gegenteil der Fall ist. Kommen dir Laute wie hm, hm, ja, hm, nein, nein, doch, ich hab dir zugehört! bekannt vor? Alles eindeutige Zeichen für bewusstes und halb bewusstes Weghören! Die Steigerung davon ist die komplett abwehrende Gleichgültigkeit bis hin zur völligen Ignoranz. Durch so ein Verhalten werden anfänglich kleine Skandale ‚unbemerkt‘ oder sollte ich besser sagen ‚ungehört‘ größer und größer. Wenn es dann eskaliert, will keiner etwas gewusst oder in unserem Fall gehört haben, obwohl es genügend Stimmen dazu gab, nur jeder hörte nur auf seinem Ich-Ohr zu und die Dinge passten nicht in das jeweilige Hörmuster. Es ist nicht leicht sich mit Empathie selbst zu überwinden und dem Gegenüber bewusst mit dem Du-Ohr zuzuhören, gerade wenn es um für dich persönlich unangenehme Themen geht.
Für solche Beispiele brauche ich gar nicht so weit in die leidvolle deutsche Geschichte zurückzuschauen:
Denk zum Beispiel mal an die Odenwaldschule. Hätte man Schüler vor Verletzungen und Beschämung bewahren können, wenn man ihren Hinweisen, als sie von Missbrauch erzählten, nachgegangen wäre? Oder wo stünde der VW-Konzern, wenn man die internen Warnungen vor dem Einsatz der Betrugssoftware ernst genommen hätte? Wo lebte Edward Snowden heute, wenn die NSA fähig gewesen wäre, ihm ernsthaft zuzuhören?
Mich macht das sehr sehr nachdenklich. Wie geht es dir damit?
Fakt ist auch: Unter guter Kommunikation verstehen wir leider nicht selbstverständlich auch gutes Zuhören, es läuft in der Kommunikation eher als niedere Tätigkeit. Der fesselnde Redner wird gefeiert, der Zuhörer erscheint als unspektakulär.
Warum ist echtes Zuhören so schwer?
Klar, in unserer heutigen Welt sind wir permanent von Lärm umgeben. Im Außen durch Smartphone & Co., im Inneren durch unseren ‚Quatschi‘.
Alltäglicher Zeitmangel, selbst da wo wir uns Hilfe und aktives Zuhören erwarten: Ärzte, die ihre Patienten nach durchschnittlich 18 bis 23 Sekunden das erste Mal für eine Schnell-schnell-Diagnose unterbrechen, wie Studien zeigen.
Die beschämende Antwort auf die obige Frage lautet:
Menschen sind widerspruchsfeindliche Wesen, eingehüllt in den Kokon ihrer Sehnsucht nach Bestätigung, äußerst energisch in dem Versuch, eigene Gewissheiten zu verteidigen.
Im Klartext heißt das nichts anderes als das wir nicht wahrnehmen wollen, was nicht zu unserer eigenen Weltsicht passt. Sie kann mitunter so dominant sein, dass wir nicht einmal hören, dass wir nicht hören. Gemäß dem Philosophen Heinz von Foerster ist dies die Ur-Ursache der Ignoranz, eine Art Taubheit zweiter Ordnung. Durch sie erkalten Beziehungen, Störungen und Skandale im System einer Organisation werden schlicht nicht erkannt.
Echtes Zuhören ist daher ein Geschenk!
Wenn du es für dich lernen willst, solltest du dich unbedingt darin üben, deine eigene Wahrheit in jedem Gespräch mit einem Mini-Fragezeichen zu versehen. Sei offen für Überraschungen, sprich andere Sichtweisen, stecke nicht alles sofort und ungeprüft in dir vertraute Raster / Muster.
Dazu habe ich jetzt noch eine kleine Geschichte des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard, sie geht so:
Eines Tages brennt das Zirkuszelt. Der Clown wird ins Dorf geschickt, um Hilfe zu holen, in voller Montur. Er warnt die Dorfbewohner, dass die Felder rund um das Zelt gleich brennen werden und sich alles in ein Flammenmeer verwandelt. Alle müssten sofort löschen kommen. Er bettelt und fleht und schreit. Die Dorfbewohner finden seine Performance wahnsinnig komisch. Was für ein raffinierter Werbetrick, um sie in den Zirkus zu locken. Was für eine witzige Idee!
Was passiert? Das Ich-Ohr ihrer eigenen Überzeugungen bestimmt, was die Menschen im Dorf hören können. Denn von einem Clown erwartet man Witze, Nonsens, Quatsch.
Mit welchem Ohr hättest du dem Clown gelauscht? Ich bin mir da auch nicht so sicher, welches meiner Ohren ich da aktiviert hätte…
Ich wünsche dir eine Woche mit zwei ganz aktiven Ohren!