abgehoben zum Höhenflug! Und wer hat es geschafft? Geh’ bittschön, die Wiener natürlich! Die Wiener sind eh klasse, aber damals um 1900 haben sie eine alte Tradition aus dem 15. Jahrhundert wiederbelebt. Inspiriert wurden sie dazu von keinem unbekannten Künstler Paul Gauguin! Er hatte diese Tradition bereits 1889 für sich (wieder)entdeckt. Und die Wiener Künstlergeneration um 1900 verhalf ihr dann endgültig zu einem super Comeback: Die Rede ist vom Farbholzschnitt.
In der Frankfurter Kunsthalle Schirn gab es bis Anfang Oktober diesen Jahres dazu eine umfangreiche Ausstellung mit tollen Bildern, gestaltet von namhaften und heute bereits mehr oder weniger vergessenen Mitgliedern der ‘Wiener Secession’. Die Fantasie der Künstler wurde durch den Farbholzschnitt angeregt und durch die nun kostengünstige Reproduktion des Bildes wurde die moderne Kunst auch beim gemeinen Volk populär, weil erschwinglich.
Um 1900 war Wien bereits in aller Welt für seine schönen und überaus zahlreichen Kaffeehäuser bekannt. Diese zogen Künstler und Intellektuelle in großer Zahl an. Sie trafen sich dort, ernannten sie zu ihrer Wahlheimat und aus einem Kaffeehaus wurde eine öffentliche Wirkstätte für Kunst & Co. Die damalige Prominenz hatte eine Vorliebe für das edle Café Landtmann. Es wurden dort Salons gegeben und es trafen u.a. Gustav Klimt, Auguste Rodin, Robert Musil und Arthur Schnitzler aufeinander.
Aufgrund seiner Gesinnung darf ruhig gezweifelt werden, ob Gustav Klimt sich ausgerechnet im noblen Café Landtmann besonders wohl fühlte. Er war damals für seinen modernen Geist bekannt und so wundert es nicht, dass er 1897 gemeinsam mit anderen Gründungsmitgliedern der Secession eine ästhetische Kampfansage machte und sich so von der anachronistischen Kunst des Bürgertums abwandte. Das Credo lautete:
‘Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.’
Von da an gab es für den Farbholzschnitt kein Halten mehr und von 1897 bis 1908 haben sich insgesamt über 40 KünstlerInnen voller Begeisterung damit beschäftigt.
Wien, die kaiserlich-königliche Residenzstadt, verfügte zu dieser Zeit bereits über seine heute noch sehenswerten imposanten Gebäude. Viele beliebte Motive wurden von den Künstlern für ihre Farbholzschnitte aufgegriffen und in ihrer eigenen Art umgesetzt. Je experimentierfreudiger der Künstler war, um so mehr reduzierte er Formen, Farben und Umrisse.
Aber, was ist denn überhaupt ein Holzschnitt?
Wer in seiner Schulzeit Kunstunterricht hatte, durfte es vielleicht sogar selber einmal ausprobieren. Wenn nicht, an Linoldruck kann sich wohl jeder von uns erinnern, der war weniger kräftezehrend und verletzungsärmer zu unterrichten 😉
Also für einen Holzschnitt braucht es Holz und reichlich scharfes Werkzeug, mit dem der Künstler das Motiv in die geglättete Holzplatte einarbeitet. So entsteht der Druckstock. Es handelt sich hierbei um ein Hochdruckverfahren, ergo muss der Künstler alle Stellen herausschnitzen, die nicht gedruckt werden sollen. Es entsteht das sogenannte Relief. Außerdem muss das Motiv spiegelverkehrt in die Druckplatte eingearbeitet werden. Also nicht nur körperlich anstrengend – Holz ist hart – sondern auch noch trickreich.
Ist das geschafft, wird der Druckstock eingefärbt, uni oder auch mit unterschiedlichen Farben an unterschiedlichen Stellen. Der nun gefärbte Druckstock kann jetzt per Hand oder auch mit einer mechanischen Presse auf Papier gedruckt werden. Es war ein Weg gefunden, die Bildmotive einfach und günstig in größeren Mengen zu erstellen. Ein schwunghafter Handel mit Reproduktionen im In- und Ausland begann.
Um einen farbigen Holzschnitt zu erhalten, gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen:
- Ein und der selbe Druckstock wird mehrfach mit unterschiedlichen Farben an den unterschiedlichen Partien eingefärbt.
- Es werden vom Relief mehrere ‘Teil-Druckstöcke’ angefertigt, jeweils mit dem Reliefausschnitt für die entsprechende Farbpartie. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, werden dann alle Farbschichten übereinander gedruckt. Hier besteht die hohe Kunst darin, die diversen Druckstöcke exakt nacheinander so übereinander zu setzen, dass die Konturen sich nicht verschieben. Das Papier muss zwischen den einzelnen Druckvorgängen jedoch immer erst trocknen, dabei kann es sich leicht verziehen.
Weiter oben hatte ich bereits erwähnt, dass Holz widerspenstig und sperrig sein kann. Es galt also damals, eine reduzierte Formsprache für das Motiv zu finden. Doch nicht so die Wiener! Sie entwickelten ihre diesbezüglichen Fähigkeiten konsequent weiter. Es entstehen Holzschnitte, die noch heute mit ihrer schon damaligen Modernität überraschen. Nur mal so zum Vergleich: Die deutschen Expressionisten entdeckten den Holzschnitt und seine künstlerischen Möglichkeiten erst gute zehn (!) Jahre später für sich.
Wien und seine Ornamente
Wer schon mal in Wien gewesen ist, weiß wovon ich spreche. Die meisten alten Jugendstilgebäude sind mit wunderschönen Ornamenten verziert. Das haben natürlich auch die Künstler um 1900 nicht übersehen (können) und anstatt in ihren Farbholzschnitten Geschichten zu erzählen, wie zum Beispiel meistens mit gemalten Bildern, verwenden sie Ornamente daraus und inszenieren ein Momentum. Eines meiner favorisierten Holzschnittmotive ist hier zum Beispiel ‘Till Eulenspiegel’ von Anton Eichinger.
Mancher Künstler war so ornamentbegeistert, dass seine Holzschnitte gar nur aus Ornamentmotiven bestanden, ich finde es nicht unbedingt schlecht 😉
Warum konnte der Farbholzschnitt um 1900 so ein gewaltiges Comeback erleben?
Damals war auch die Geburtsstunde der Werbung. Ladenbesitzer, Geschäftsleute und Händler wollten auf ihre Waren aufmerksam machen. Sie waren begeistert von künstlerisch gestalteten Anzeigen. Durch die recht kostengünstige Reproduktion keine Frage des Geldes mehr. So entstehen neben den künstlerischen Holzschnitten gleichzeitig Plakate, illustrierte Bücher und Zeitungen. Womit der Holzschnitt quasi über die Werbung Einzug in den Alltag der Großstädte und deren Bewohner hält.
Du kennst es sicherlich von dir: Sobald du für eine bestimmte Sache oder Thema sensibilisiert bist, siehst und hörst du es überall. So kam es auch, dass die Kunstgewerbeschulen in enger Zusammenarbeit mit den Wiener Werkstätten den traditionellen Kunstbegriff um den Bereich Farbholzschnitt erweiterten, weil in aller Munde.
Es gab plötzlich nicht mehr die Klassifizierungen wie hohe und niedere Kunst oder bildende Kunst und Kunsthandwerk. Die Grenzen verschwanden und es entstand die moderne Bildproduktion.
Über die Werbung und im Dienst der Alltagskultur fanden die Wiener Künstler und Künstlerinnen damals mit ihren Farbholzschnitten den Weg zu einem großen Publikum.
Wie gesagt, Paul Gauguin war den Wienern in Sachen Wiederentdeckung des Farbholzschnitts voraus, ebenso wie Edvard Munch. Sie waren sozusagen die Pioniere des Farbholzschnitts. Über deren Weg von der Secessions-Gründung 1897 hin in Richtung Moderne wären beide Künstler sicher sehr begeistert gewesen.
Für mich gilt jedenfalls: Eine tolle Ausstellung in der Schirn – wieder mal – und ich bin glücklich, dass ich es noch auf den aller aller letzten Drücker dort hin geschafft habe!
Ganz im thematischen Sinne wünsche ich dir eine farbschnittige Woche