Diese Frage hat sie oft gehört und ihre Antwort war: „Mich interessiert nicht, wie sich Menschen bewegen, mich interessiert, was sie bewegt!“ Sie war DIE Revolutionärin in der klassischen Ballettszene und hat Vieles zunächst im deutschen Ballett und dann auch international ‚entstaubt‘ und wird auch viele Jahre nach ihrem Tod als Begründerin des modernen Tanztheaters weltweit gefeiert.
Die Rede ist von Pina Bausch, der großen Dame des Balletts.
Sie war eines von drei Kindern und wurde 1940, also mitten im Zweiten Weltkrieg, in Solingen geboren. Ihre Eltern hatten damals eine Kneipe oder besser Gaststätte mit Hotel. Und immer wenn Pina, eigentlich hieß sie Philippine, abends keine Lust auf ins Bett gehen hatte, schlich sie sich klammheimlich unter die Kneipentische und belauschte die Gäste. Heute sagt man, dass sie schon damals erste Eindrücke für ihre ‚Alltagsszenen‘ im Tanztheater bekam. Heute würde man sagen sie hatte ADS: sie war zappelig und hatte eine überbordende Phantasie.
Die Eltern erhielten den Rat, Pina doch zum Kinderballett zu schicken. Gesagt getan und im nachhinein kann man mit Fug und Recht behaupten: A star was born!
Von nun an fuhr Klein-Pina mit der Schwebebahn durch Wuppertal zum Kinderballett und hatte auch schon bald erste Auftritte, denn ihr Talent war unübersehbar. Eine ihrer Tanzlehrerinnen nannte sie „Schlangenmensch”. Pina durfte bereits mit 14 Jahren ein Tanzstudium an der Folkwang-Hochschule in Essen beginnen. In Essen erhielt sie neben einer klassischen Tanzausbildung auch Unterricht in Schauspiel. Musik und Malerei. Sie sagte einmal über diese Zeit: „Wir lebten zusammen, sahen und hörten einander zu.“ Diese Erfahrungen und Nähe zu allen Künsten wurden später in ihren Stücken in Form von Gesang und Sprechtheater verarbeitet, zu ihrer Zeit noch absolut unüblich.
Zunächst ging sie nach ihrem Studium in Essen nach New York und tantze an der Metropolitan Opera, auch unterrichtete sie bald selbst an der Folkwangschule in Essen.
Als sie erste eigene Stücke schrieb, wollte sie der Wuppertaler Intendant Arno Wüstenhöfer unbedingt als Choreografin an sein Theater holen. Aber Pina hatte Angst vor der Aufgabe und sagte vorerst nein. Erst nach zahlreichen weiteren Versuchen seitens Wüstenhöfer sie umzustimmen, sagt sie: „Ich kann’s ja mal probieren.” Es wurde ihre Lebensaufgabe. Doch bis zuletzt überkamen sie immer wieder Selbstzweifel, Ängste und eine difuse Furcht vorm Scheitern.
„Vor jedem Stück wieder dieselbe Angst” , klagte sie.
In ihrer Folkwang-Hochschulzeit lernte sie den Grafiker Rolf Borzik kennen und lieben, er wurde ihr erster Mann. Sie leben und arbeiten von nun an zusammen. Er entwirft alle Bühnenbilder und Kostüme für sie und schafft somit eine einzigartige Atmosphäre für die Pina-Stücke. Leider ist den Liebenden nicht viel gemeinsame Zeit vergönnt, ganze zehn Jahre, denn Rolf stirbt mit nur 36 Jahren an Krebs im Januar 1980.
Bereits im Sommer 1980 lernt sie auf einer Tournee in Santiago de Chile ihren zweiten Mann kennen: Ronald Kay, ein chilenischer Dichter und Professor für Ästhetik und Literatur an der Chilenischen Universität. Gleich im nächsten Jahr, Pina ist mittlerweile 41 Jahre alt, bekommen die beiden einen Sohn, den sie Rolf-Salomon nennen, in Erinnerung an ihre große Liebe Rolf Borzik.
Pina arbeitet weiter und Ronald kümmert sich um den gemeinsamen Sohn.
Tanz der Emotionen
Pina setzte am Theater konsequent auf Emotionen, wie wohl kaum jemand anderes zu ihrer Zeit. Sie hatte anstatt Vorlagen für ihre Stücke oft nur ein Gefühl in ihrem Kopf, dass sie darstellen wollte. Sie hatte ein Auge dafür was Menschen bewegt: Ängste und Nöte, Wünsche und Sehnsüchte! In Worte konnte sie dies allerdings nicht fassen, ihre Sprache war der Tanz.
Sie hatte ihre ganz eigene Art Stücke zu entwickeln, zum Beispiel fragte sie ihre Tänzer:
„Wie hast du dich als Kind gefühlt, wenn…”
„Was kann man Gefährliches mit einem niedlichen Gegenstand machen?”
Ihr Probenprinzip erklärte sie einmal so: „Wir erkunden etwas, lachen über uns selber und versetzen uns in die Gefühle anderer”. Obwohl sie auf der einen Seite mutig war, begleitete sie stets die Furcht zu versagen, was dazu führte, dass sie mehrmals versuchte Premieren zu verschieben oder sie sich weigerte, dem neuen Stück einen Namen zu geben, um dessen Unfertigkeit zu betonen.
Zumindest ihre Angst vor den Publikumsreaktionen war nicht ganz unbegründet. Das Publikum verließ bei ihren ersten Stücken Türenknallend den Saal, die Leute schimpften, sie soll sogar Drohanrufe bekommen haben!
Der Grund für diese heftigen Reaktionen war, das man in den 70er-Jahren solche Tanzstücke noch nicht kannte. Die typischen Tanzstücke waren meist klassisches Ballett und die Tänzer trugen Tutus und verzogen keine Miene. In ihren Tanzstücken aber wurde gelebt: Das Alltägliche fand auf ihrer Bühne Platz. Sie nutzte hierzu ungeniert Hilfsmittel: Tänzer liefen durch knöcheltiefes Wasser, sprangen gegen Wände, sangen oder lachten laut. Ganz nach ihrem Leitgedanken:
„Mich interessiert nicht,
wie sich Menschen bewegen,
mich interessiert, was sie bewegt”.
Doch das Publikum damals fragte sich: „Ist das noch Tanz?” Heute würden wir ganz klar ja sagen, aber auch nur, weil Pina Bausch diesen Weg geebnet hat. Pina wollte nie provozieren und solche Publikumsreaktionen machten sie traurig, aber nie verbittert. Sie ahnte wohl, dass die meisten überfordert waren, mit ihren eigenen verdrängten Gefühlen und Sehnsüchten konfrontiert zu werden.
Ihre Stücke hatten etwas revueartiges, sie folgten einer inneren Logik, einem Bewusstseinsstrom und nicht einer äußerlich zusammenhängenden Geschichte. Pina Bausch arbeitete äußerst akribisch und sagte von sich: „Meine Stücke wachsen nicht von vorne nach hinten, sondern von innen nach außen.“ Das hatte u.a. zur Folge, dass die Reihenfolge der Szenen manchmal bis zur Generalprobe noch nicht feststand. Die finale Entscheidung traf Pina oft genug erst kurz davor.
Große Bühnen in aller Welt hätten sie gern engagiert, aber Pina Bausch blieb bis zuletzt in Wuppertal. Wuppertal bot der sensiblen Pina einen Schutzraum, in dem sie so sein durfte, wie sie wollte und man sie walten ließ, wie sie es sich vorstellte.
Die Konventionen des klassischen Balletts interessierten sie nicht. Ihre Stücke waren anders: voller Wucht, ergreifend und sie werden auf der ganzen Welt geliebt. Als Pina 2009 im Alter von fast 69 Jahren starb, war ihr ‚Werk‘ schon gewaltig: Sie hinterließ fast 50 Produktionen und 7.500 Videos. Spätestens mit ihrem Tod wird sie als Revolutionärin des modernen Tanzes gefeiert.
Sie lebte so sehr für den Tanz, dass sie nicht merkte oder merken wollte, dass sie schon längere Zeit krank war. Kurz nach ihrer letzten Premiere, im Juni 2009, erfährt sie, dass sie Lungenkrebs hat. Fünf Tage später stirbt sie. In einem ihrer Nachrufe heißt es:
Sie geht so, wie sie gearbeitet hat: dezent, fast still.
Doch ihr Weltruhm bleibt. Zu Recht, findet ihr alter Freund Wim Wenders: „Niemand konnte die Menschen so lesen wie Pina. Sie hatte einen einzigartigen Blick. Und mit ihren Stücken hat sie einen liebevoll an die Hand genommen und in die Lage versetzt, selbst auch anders zu gucken.”
Wim Wenders hat auch einen sehr empfehlenswerten Film über sie und ihre Arbeit gemacht. Eigentlich sollte er noch zu Lebzeiten von Pina gedreht werden, leider starb sie unverhofft im Jahr 2009. Der Titel des Films lautet: Pina – tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren.
Um Pina Bauschs künstlerischen Nachlass zu pflegen und zu verwalten, riefen ihr Mann Ronald Kay und ihr gemeinsamer Sohn Rolf-Salomon Bausch nach ihrem Tod die Pina-Bausch-Stiftung ins Leben.
Ganz im Sinne von Pina verabschiede ich mich für heute mit einer Frage an dich:
“Wie würdest du deine Sehnsucht in Tanz ausdrücken?”
Herzlichen Dank für diesen interessanten Beitrag!
Sehr gerne, Petra!