Wow, etwas was meine Generation und natürlich alle nachfolgenden Generationen für selbstverständlich halten, also zumindest in Deutschland, ist echt gerade mal 100 Jahre alt. Ich finde Grund genug um es hier & heute nochmals ins Rampenlicht zu stellen. Neugierig? Weiblich? Dann hier entlang
Genau: Der 30. November 1918 brachte die Wende und die gesetzliche Voraussetzung für das damals seit vielen Jahren immer wieder von besonders engagierten Frauenrechtlerinnen erstrittene FRAUENWAHLRECHT.
Wie alles begann!
Schon 1848 fand die Wahl zur Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche statt, natürlich ohne Frauen. Damals war Louise Dittmer eine der ersten aktiven Frauenrechtlerinnen und notierte:
‚Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt unter dem Wort ‚alle‘ nur die Männer zu verstehen.‘
Vor also 150 Jahren hatten Frauen in Deutschland nicht nur kein Wahlrecht, sie hatten auch kein Recht auf Erwerbstätigkeit oder gar persönlichen Besitz. Als Ehefrauen waren sie sozial und ökonomisch von ihren Ehemännern und als Unverheiratete von ihren Vätern abhängig. Ich mag mir das gar nicht vorstellen…
Auch 1850 hatte sich daran nichts geändert: Frauen war die Mitgliedschaft in politischen Vereinen verboten, sie hatten kein Versammlungsrecht. Sie dürfen sich nur in unpolitischen Vereinen betätigen. Also Handarbeitstreffen und vielleicht auch noch den einen oder anderen Lesezirkel, natürlich nichts Politisches! Aber es brodelt schon ein wenig unter der Handarbeitsdecke und erste mutige Frauen treffen sich, um sich für Frauenbelange und Frauenrechte, das Recht auf Bildung und Erwerbsarbeit sowie die Teilnahme am politischen Leben und ökonomische und soziale Selbstständigkeit, stark zu machen.
Doch gut 20 Jahre später wurde ein Gesetz erlassen, das den engagierten Frauen erstmal allen Wind aus den Segeln nehmen (sollte):
Ein knappes Jahr vor der Reichsgründung, am 11. März 1870, trat das Preußische Vereinsgesetz in Kraft. Dort hieß es in § 9: Für Vereine, welche bezwecken politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, gelten nachstehende Beschränkungen:
- Sie dürfen keine Frauenspersonen, Schüler, Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen; Sie dürfen nicht mit anderen Vereinen gleicher Art zu gemeinsamen Zwecken in Verbindung treten, insbesondere nicht durch Komitees, Zentralorgane oder ähnliche Einrichtungen oder durch gegenseitigen Schriftwechsel […]
- Frauenspersonen, Schüler und Lehrlinge dürfen den Versammlungen und Sitzungen solcher politischen Vereine nicht beiwohnen. Werden dieselben auf Aufforderung des anwesenden Abgeordneten der Obrigkeit nicht entfernt, so ist Grund zur Auflösung der Versammlung oder der Sitzung vorhanden.
Wie gesagt, den Frauen wurde ganz und gar der Wind aus den Segeln genommen, denn sie konnten aufgrund dieses Gesetzes auch nicht Mitglied in den zu dieser Zeit bereits immer stärker werdenden politischen Parteien werden.
Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wird das sogenannte allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime – aktive und passive – Wahlrecht für alle männlichen Bürger über 25 Jahre, die im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte sind für den Reichstag eingeführt. Es gilt also weiterhin das Dreiklassenwahlrecht. Frauen haben weder in den Kommunen noch für den Reichstag das Wahlrecht.
Die Sache nimmt trotzdem langsam langsam Fahrt auf
Diverse, heute eher unbekannte Frauen, wie Hedwig Dohm, Minna Cauer, Anita Augspurg, Helene Stöcker, Käthe Schirmacher und Clara Zetkin machten sich in der Zeit von 1873 bis 1891 immer wieder stark für das Frauenwahlrecht. Oft unter lebensbedrohlichen Umständen. Sie riefen zu Versammlungen auf, verfassten Schriften wie ‚Der Frauen Natur und Recht‘ (1876 von Hedwig Dohm). Minna Cauer gründet 1888 in Berlin den Verein ‚Frauenwohl‘, welcher offen politische Rechte für die Frau forderte. Erste Mitgliederinnen waren ihre o.g. Mitstreiterinnen.
1891 veranstaltet die SPD in Erfurt einen Parteitag und nimmt immerhin die Forderung nach einem Frauenstimmrecht in ihr Parteiprogramm auf! Ein guter Anlass für Clara Zetkin, um vor den Delegierten öffentlich über die proletarische Frauenbewegung zu sprechen! Bitte nicht vergessen: dies und mehr war den Frauen zu dieser Zeit noch gesetzlich strengstens untersagt!
Aber jetzt! Anno 1894 gründet sich Ende März der ‚Bund Deutscher Frauenvereine‘ (BDF) als Dachorganisation der gemäßigten bürgerlichen Frauenbewegung. Im Bund waren 34 gemeinnützige Vereine organisiert. Die proletarischen und die sozialdemokratischen Frauenvereine wurden jedoch nicht Mitglied im BDF. Das Thema Frauenwahlrecht nahm der BDF erst 1902 auf seiner fünften Generalversammlung in Wiesbaden in sein Programm auf (bitte erinnere dich: die SPD tat dieses immerhin schon 1891) ? Zeitgleich wurde 1902 der erste Frauenwahlrechtsverein gegründet.
Die bereits erwähnten Frauenrechtlerinnen Minna Cauer, Anita Augspurg und nun auch Lida Gustava Heinemann gründen 1902 in Hamburg, den ‚Deutschen Verein für Frauenstimmrecht‘, zwei Jahre später umbenannt in ‚Deutscher Verband für Frauenstimmrecht‘. Diesen Verband sieht man heute als die Wiege der bürgerlichen Frauenstimmrechtsorganisation. Denn der Verband hatte als einziges Ziel den Kampf um das Frauenstimmrecht, er fordert das Wahlrecht für Frauen im deutschen Reich.
Ebenfalls im Jahre 1904, genauer am 12. Juni, eröffnet in Berlin der Internationale Frauenkongress (Frauen-Congress) – allerdings ausgerichtet vom Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), federführend unter der Leitung von Marie Stritt. Es trafen sich Vertreterinnen bürgerlicher Frauenverbände aus 25 Ländern. Die Frauen diskutierten über Themen wie Frauenbildung, -erwerb, -berufe, soziale Einrichtungen sowie die rechtliche Stellung der Frau, es waren an die 1000 Teilnehmerinnen! Wie gesagt, Ausrichter ist der BDF, ergo nahm die sozialistische Frauenbewegung nicht daran teil. Konkurrenz belebte auch schon damals das Geschäft und so fand im Umfeld des Kongresses ebenfalls eine Internationale Frauenstimmrechtskonferenz statt. Auf dieser wurde der Weltverband für Frauenstimmrecht, die ‚International Women’s Suffrage Alliance‘ (IWSA) gegründet.
Knapp drei Jahre später, im Januar 1907, erscheint erstmalig die ‚Zeitschrift für Frauenstimmrecht‘, herausgegeben von Anita Augspurg. Im selben Jahr findet im August in Stuttgart die ‚Erste internationale sozialistische Frauenkonferenz‘, organisiert von Clara Zetkin, statt. Sie fordert u.a. das allgemeine Frauenwahlrecht und wird zur Sekretärin der Sozialistischen Fraueninternationale gewählt.
Endlich tut sich wirklich etwas!
Denn mit der Aufhebung des Preußischen Vereinsrechtes am 15. Mai 1908 fällt endlich das Verbot der Mitgliedschaft für Frauen in politischen Parteien und in Organisationen, die politische Themen beraten. Damit dürfen Frauen fortan in politische Vereinigungen und Parteien eintreten und sogar offiziell politische Vereine gründen.
Der uns Frauen heute gut bekannte Weltfrauentag, jeweils am 19. März, findet erstmals 1911 als internationaler Frauentag, organisiert von Clara Zetkin und Käthe Duncker, statt. Luise Zietz schätzte den ersten internationalen Frauentag gar als ‚wuchtige sozialdemokratische Kundgebung für das Frauenwahlrecht‘ ein.
Ja ja, auch damals konnten sich Frauen schon mal gerne nicht einig sein ? denn sie waren sich uneins darüber, welches Wahlrecht sie anstreben sollten. Aufgrund dieser Streitigkeiten kam es 1914 – vor Beginn des ersten Weltkrieges – dazu, dass drei verschiedene Verbände existierten, obwohl sie doch im Prinzip alle um das Frauenstimm- und Wahlrecht kämpften. Nur über den Weg dort hin waren sie sich nicht einig. Nun ja, das Problem kennt frau heute mitunter auch noch ?
Einigkeit macht stärker
Nach diversen Rangeleien kam es zwei Jahre später, also 1916, zum Zusammenschluss des ‚Deutschen Verbands für Frauenstimmrecht‘ und der ‚Deutschen Vereinigung für ‚Frauenstimmrecht‘ zum ‚Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht‘. Als erste Vorsitzende wurden Marie Stritt und Li Fischer-Eckart gewählt.
Nun denn, die Zeiten waren schwierig. Deutschland befand sich 1917 mitten im Ersten Weltkrieg, es wurde bald deutlich, dass der Deutsche Kaiser zwar eine Wahlrechtsreform anstrebte, aber gar nicht daran dachte die Frauenforderungen zu berücksichtigen. Also beschlossen bürgerliche und sozialistische Aktivistinnen gleichermaßen, sich gemeinsam für das Frauenwahlrecht einzusetzen. Sie übergaben u.a. dem Preußischen Landtag im Dezember eine ‚Erklärung zur Wahlrechtsfrage‘, in der sie auf die während des Krieges von Frauen geleistete Arbeit sowie deren große Einsatzbereitschaft hinwiesen. Sie forderten ein ‚allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht für alle gesetzgebenden Körperschaften.‘ Im Dezember 1917 wurde eine gemeinsame Kundgebung mit mehr als tausend Frauen aus der proletarischen und der bürgerlichen (!) Frauenbewegung zur geplanten Wahlrechtsreform im Reich und in den Bundesstaaten organisiert.
Es ist soweit!
Mittlerweile gab es ganze 58 (!) deutsche Frauenorganisationen. Sie alle richteten im Oktober 1918 ein gemeinsames Schreiben an den damaligen Reichskanzler Max von Baden, mit dem Inhalt, dem Verlangen der Frauen nach einem Wahlrecht zu entsprechen. Zeitgleich versammelten sich in Berlin mehrere tausend Menschen und forderten das sofortige Stimmrecht für die Frauen!
Im Sommer 1918 zeichnete sich bereits der militärische Zusammenbruch ab. Im November revoltierten die Matrosen in Kiel und leiteten damit den endgültigen Sturz der Monarchie ein. Der Rest ist bekannte Geschichte: Am 9. November rief Philipp Scheidemann die Republik aus. Wenige Tage später stellt der Rat der Volksbeauftragten am 12. November 1918 in einem Aufruf ‘An das deutsche Volk’ sein Regierungsprogramm vor. Ein wichtiger Teil davon war die Proklamation einer großen Wahlrechtsreform, die auch das Frauenwahlrecht beinhaltete.
Deshalb gilt der 12. November 1981 allgemein als die Stunde des Frauenwahlrechts in Deutschland. Wahlberechtigt waren alle Frauen und Männer ab 20 Jahren. Kurze Zeit später, am 30. November 1918 verankert der Rat der Volksbeauftragten das aktive und passive Wahlrecht für alle Bürgerinnen und Bürger in der Verordnung über die Wahl zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung. Im Artikel 109, Abs. 2 der Weimarer Verfassung findet sich schließlich der Satz:
„Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben
staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Als dann im Januar 1919 die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung stattfand, war dies die erste Wahl an der Frauen als Wählerinnen und Gewählte teilnahmen. Über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. Es kandidierten 300 (!) Frauen. Von den insgesamt 423 Abgeordneten zogen schlussendlich immerhin 37 Frauen in die Nationalversammlung ein.
Die erste Sitzung der Nationalversammlung nach den Wahlen fand am 19. Februar 1919 statt und die Sozialdemokratin Marie Juchaz hielt als erste Frau eine Rede in der Nationalversammlung und stellte fest:
‚Meine Herren und Damen!
Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als freie und gleiche im Parlament zum Volke sprechen kann […]. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.‘
Fazit: Ich bin keine Emanze und habe auch kein Emma-Abo ?, aber ich finde es wichtig, dass gerade wir Frauen uns daran erinnern, dass auch in unserem fortschrittlichen Deutschland noch gar nicht so lange alles so fortschrittlich und gleichberechtigt ist! Wobei… beim Thema Gleichberechtigung & Alles könnte ich gerade schon weiterschreiben… ?
Ich wünsche dir eine bewusste und wache Woche voller Wahlmöglichkeiten!
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